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ZEHN JAHRE PROGRESSIVE MS ALLIANCE: WAS WURDE ERREICHT, WAS BLEIBT ZU TUN?

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Noch vor wenigen Jahren galten die progredienten Formen der Multiplen Sklerose (PR-MS) als Mauerblümchen der MS Forschung. Die pharmazeutischen Unternehmen investierten vorrangig in die Entwicklung von Therapien für die schubförmige MS (RR-MS). Die neuartigen Medikamente vermittelten das Image schicker Innovation, während der Mangel an ursächlich wirksamen Therapien der PR-MS eine eher düstere Aura verlieh. Dies war die Ausgangslage, als vor zehn Jahren die International Progressive MS Alliance (PMSA) ins Leben gerufen wurde.

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Die Idee einer internationalen „Lobby-Gruppe“ in Sachen PR-MS kam ursprünglich aus den Reihen der MS international Federation (MSIF), einem weltweiten Netzwerk von mehr als 90 MS-Organisationen. Damals war eines der vorrangigen Ziele, die PR-MS aus ihrem Schattendasein heraus in das Rampenlicht weltweiter Aufmerksamkeit zu bringen). Sehr bald war klar, dass es mit Aufmerksamkeit allein nicht getan ist. Die PMSA beauftragte ihren wissenschaftlichen Beirat (Scientific Steering Committee), ein kohärentes Forschungsprogramm zu entwickeln. Hierbei werden vorrangig drei Ziele verfolgt:

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  1. Besseres Verständnis der biologischen Mechanismen der PR-MS
  2. Effizientere Methoden für die klinische Prüfung von Medikamenten speziell für die PR-MS
  3. Nachhaltige Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit PR-MS unter Ausschöpfung aller verfügbaren Möglichkeiten

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Mit publikumswirksamen Spendenaufrufen und Öffentlichkeitskampagnen (Fundraising) gelang es der PMSA, eine nachhaltige Finanzierung ihres ehrgeizigen Forschungsprogramms zu ermöglichen. Alle Mitglieder der PMSA leisten dazu ihren Beitrag. Zu den Gründungsmitgliedern der PMSA gehörten 2012 neben der MSIF die MS Gesellschaften der USA, Kanadas, Großbritanniens, Italiens und der Niederlande. Inzwischen beteiligen sich 19 MS Organisationen, darunter auch die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG).

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Ein sehr geschickter Schachzug war es, führende forschende pharmazeutische Unternehmen im Rahmen eines „Industrieforums“ in die PMSA einzubinden. Hierdurch werden die ansonsten konkurrierenden Pharmaunternehmen animiert, ihre Forschung transparenter zu machen und besser untereinander abzustimmen, bisher unveröffentlichte Daten aus ihren Studien zugänglich zu machen, sowie ihr für die Medikamentenentwicklung unverzichtbares pharmazeutisches Know-How einzubringen. Letzteres wird gebraucht, um Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung ohne Reibungsverluste für die Therapie der PR-MS nutzbar zu machen.

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Die Forschungsstrategie der PMSA beinhaltet sowohl Top-Down als auch Bottom-Up Elemente. So wurde 2014 beim ersten internationalen Aufruf (Request for Applications, RFA) zunächst zwar ein thematischer Rahmen vorgegeben (Top-Down). Mittels einer stringenten wissenschaftlichen Begutachtung wurden dann die originellsten Projektvorschläge dieser Challenge Awards ausgewählt und die beteiligten Wissenschaftler erhielten so die Möglichkeit, auch gewagten Hypothesen nachzugehen. Im Fall eines Erfolges wird dadurch die Thematik zukünftiger Forschungsprojekte und Ausschreibungen beeinflusst (Bottom-Up).

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Bündeln wirtschaftlicher Expertise

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Ein vorrangiges Anliegen der PMSA ist die Vernetzung von Forschergruppen, um auf diese Weise wissenschaftliche Expertise zu bündeln und Synergien optimal zu nutzen. Aus einer Vorrunde, bei der insgesamt elf Collaborative Network Planning Awards gefördert wurden, entstanden 2016 schließlich drei internationale Forschungsverbünde, deren wissenschaftliche Arbeit jetzt Früchte trägt. Das von Prof. Francesco Quintana (Harvard University, Boston, USA) koordinierte Netzwerk zielt auf die Erforschung der Rolle von Mikroglia und Astrozyten bei der PR-MS. Diese Zellen tragen maßgeblich zu den komplexen Vorgängen der Gewebezerstörung bei und bieten somit bedeutsame therapeutische Angriffspunkte. Tatsächlich konnte das Netzwerk bereits einige konkrete molekulare Ansatzpunkte identifizieren, die jetzt so rasch wie möglich hinsichtlich ihres therapeutischen Nutzens getestet werden müssen.

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Internationale Vernetzung

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Das von Prof. Gianvito Martino (San Raffaele Vita-Salute Universität Mailand, Italien) geleitete Netzwerk, an dem auch deutsche Forschergruppen beteiligt sind, zielt ebenfalls auf die Entdeckung neuer molekularer Ansatzpunkte und Therapien für die PR-MS, wobei hier die Myelinisierung im Mittelpunkt steht.

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Das von Prof. Douglas Arnold (McGill University, Montreal, Kanada) koordinierte Netzwerk arbeitet an neuen Methoden der klinischen Prüfung von Pharmaka und speziell an der Entwicklung von Biomarkern für die PR-MS. Vorrangig durch Analyse von Kernspinbefunden (MRT) sollen frühzeitige prognostische Marker für den individuellen Verlauf der PR-MS identifiziert werden. Für die MRT Auswertung werden dabei Methoden künstlicher Intelligenz eingesetzt. Dieses Projekt profitiert in besonderem Maße von den MRT Daten, die die an der PMSA beteiligten pharmazeutische Unternehmen zur Verfügung stellen.

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Neben den bildgebenden Verfahren der MRT gibt es inzwischen auch vielversprechende molekulare Biomarker der Progression. Insbesondere hat sich ein als Neurofilament-light bezeichnetes Protein als nützlicher Marker der Neurodegeneration erwiesen. Die PMSA nutzt ihren Einfluss um zu erreichen, dass die Zulassungsbehörden (FDA, EMA) diesen Test als festen Bestandteil von Therapiestudien bzw. als zusätzliches Kriterium für die Wirksamkeit von Medikamenten etablieren.

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2021 beginnt eine neue Runde von PMSA-geförderten Research Challenge Awards, von der erneut innovative Ansätze und wichtige Ergebnisse zu erwarten sind.

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Fazit:

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In den zehn Jahren ihres Bestehens hat sich die PMSA zu einer nachhaltig aktiven, einflussreichen internationalen Institution entwickelt. Besondere Verdienste hat sich hierbei der langjährige Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der PMSA, Prof. Dr. med. Alan Thompson erworben, der 2020 mit dem Sobekpreis und 2021 mit dem Charcot Award ausgezeichnet wurde. Heute kann niemand mehr behaupten, die PR-MS führe ein Schattendasein. Im Gegenteil: die Forschung auf diesem Gebiet boomt wie nie zuvor. Daran hat die PMSA einen nicht geringen Anteil. Aber bleiben wir realistisch. Zwar sind zum Beispiel erst kürzlich Substanzen für die Therapie der primär progredienten MS (Ocrelizumab) bzw. sekundär progredienten MS (Siponimod) zugelassen worden. Allerdings profitiert - wenn überhaupt - nur ein Teil der Betroffenen von diesen Therapien, und selbst bei diesen Respondern ist das Ausmaß des Therapieeffekts bestenfalls als mäßig zu bezeichnen. Es bleibt also viel zu tun. Wünschen wir der PMSA viel Erfolg für die nächsten zehn Jahre!

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Kürzlich erschienene Publikationen der PMSA:

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  • Kapoor et al.: Serum neurofilament-light as a biomarker in progressive MS, Neurology 95: 436-444, 2020
  • Dangond et al.: Facing the urgencies of therapies for progressive MS – a Progressive MS Proposal, Nat Rev Neurol 17: 185-192, 2021
  • Zackowski et al., Prioritizing progressive MS rehabilitation research: A call from the international Progressive MS Alliance, Mult Scler 27: 898-1001, 2021

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Quelle: aktiv! 03/2021, Prof. Dr. med. Reinhard Hohlfeld – 07.10.2021

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- 07.10.2021

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